Leseproben

Hier findest du kurze Ausschnitte jedes Buchs, um einen kleinen Einblick in die Geschichte zu bekommen! Viel Spaß beim Erkunden! 

How we Met Yesterday

»Wenn er länger bleibt«, fing Elliot leise an, als Ivy wieder hinter dem Tresen angekommen war, »dann kommt er mit dem leeren Glas her und bestellt einen Pfefferminztee. Dann macht er ‚ne kleine Pause, nimmt die Tasse dann mit und arbeitet weiter.«

»Okay«, murmelte Ivy. »Und warum genau ist er ein einfacher Gast?«

»Er ist eigentlich ganz nett. Er erwartet nicht, dass wir ihm die Sachen bringen, sondern wir machen es meistens, bevor er bestellen kann. Wenn er bestellt, dann sagt er auch nicht: ›Bring mir mal ‚nen Tommi‹, oder: ›Das gleiche wie immer‹, sondern er sagt genau, was er möchte. Einen schwachen Kaffee mit doppel- tem Espresso macchiato und einem Stück Schokola- de. Und er verhält sich immer ruhig, wenn er hier ist. Er ist auch nicht genervt, wenn die Rechnung nicht sofort kommt. Er kommt, trinkt ein oder zwei Ge- tränke und arbeitet und dann geht er wieder.«

»Kennst du ihn?«, fragte Ivy, weil sie irgendwie den Eindruck hatte, Elliot könnte ihn ein bisschen besser kennen als einen normalen Stammgast. Zumindest klang seine Stimme so.

»Nicht wirklich«, sagte er aber. »Ein bisschen. Er war zwei Jahrgänge über mir, als wir zur Schule gegangen sind. Wir hatten nie viel miteinander zu tun. Aber ich habe ihn in der Schule und im Bus immer gesehen. Und er kann sehr laut und gesellig sein. Also bekommt man meistens mit, wenn er irgendwo ist. Außer eben er arbeitet. So wie hier. Dann ist er sehr ruhig.«

»Verstehe«, murmelte Ivy. »Er ist süß.«
Elliot warf ihr einen bitteren Blick zu.
»Nicht?«, fragte Ivy ihn – und sich selber, was sie

falsch gemacht hatte.
»Doch. Er ist süß«, sagte Elliot leise und machte

sich dann wieder an die Arbeit.
Vielleicht hätte sie das nicht sagen sollen. Tatsächlich kam dieser Thomson nach seinem

komischen Kaffee irgendwann zu ihnen, stellte das Glas am Tresen ab und setzte sich. »Machst du mir einen Pfefferminztee?«, fragte er Ivy.

Die nickte.
»Einen Becher oder eine Kanne?«
»Einen Becher«, sagte der Gast mit einem Lächeln

im Gesicht.

We might be enough

»Sorry«, nuschelte er also, stellte die eine Tasse ab, setzte die andere an seine Lippen und merkte erst beim Schlucken, dass es die falsche war.
Er schloss die Augen und atmete durch, dann tauschte er die Tassen.

Peinlich.

Areel kicherte leise, band aber unbeirrt seinen Strauß weiter.

»Ich wollte nur nicht bei der Arbeit stören«, erklärte Lex, dem die Situation zunehmend unangenehm wurde.

Doch Areel reagierte erstaunlich entspannt.
»Du störst mich nicht.«
»Mich stören Sie auch nicht.« Die Kundin gluckste. Sie

warf Lex einen amüsierten Blick zu. »Und wie aufmerksam von Ihnen, Kaffee vorbei zu bringen.«

»Das ist allerdings sehr aufmerksam«, flüsterte Areel in einem Ton, als seien die Worte nur für ihn selbst bestimmt gewesen, und jetzt wurde Lex wirklich warm. Er räusperte sich und sah dann zu Areel rüber, der dazu übergegangen war, die Enden der Pflanzen schräg anzuschneiden.

»Wenn mir mal jemand Kaffee in einer Porzellantasse bringen würde, der nicht der Firmenpraktikant ist, würde ich vermutlich mit demjenigen durchbrennen.« Sie kicherte. Dann sah sie zu Lex und fragte »Sind Sie denn Praktikant?«

Er fing im gleichen Moment an zu lachen, wie Areel.

»Nein, ich bin kein Praktikant«, erklärte er. »Ich bin nur zum Kaffeetrinken hergekommen.«

Sie zog die Augenbrauen hoch und nickte verstehend. Dann legte sie sich eine Hand an den Mund, als würde sie Areel etwas Geheimes zuflüstern, und sagte in Zimmerlautstärke »Den würde ich behalten. Scheint ein guter Fang zu sein.«

Lex schoss das Blut in die Wangen und Areel lächelte verhalten. »Ist nur freundschaftlicher Kaffee«, sagte er, zog einen großen Bogen Papier von einer Rolle.

»Na, dann will ich natürlich nichts gesagt haben.« Sie zwinkerte Lex zu, zog ihr Portemonnaie hervor, und zahlte. Dann sagte sie »Ich hoffe, Sie beide haben noch ein bisschen Pause, um Ihren Kaffee auszutrinken.«

A Whisper of summer Rain

Wir wateten einige Meter durch den kleinen Bach. So weit, bis wir das seitliche Ende des Grundstücks erreichten, das an den Wald grenzte. Ich konnte einen schmalen, erdigen Weg erkennen, der zu einer winzigen Brücke führte, mit der der Bach zu überqueren war.

»Über diese Brücke ist, seit ich hier wohne, noch nie jemand gegangen«, sagte Millie leise. »Kurz vor der Abzweigung ist ein Schild, auf dem steht, dass es da nicht weiter geht, weil die Brücke komplett morsch ist und man sie nicht benutzen soll. Sie wurde aber auch nie repariert. Also geht da keiner entlang.«

»Ah«, machte ich, weil ich nicht wusste, was Millie mir damit genau sagen wollte.

»Ich dekoriere sie im Sommer immer mit Lichterketten und komme spätabends her.«

»Und dann gehst du nackt baden«, scherzte ich, bevor ich mich davon abhalten konnte. Den Bruchteil einer Sekunde bereute ich diese Aussage, denn Millie hatte mir eben gerade noch davon erzählt, dass sie oft

damit konfrontiert war, sexualisiert zu werden. Und ich wollte auf gar keinen Fall, dass sie sich unwohl fühlte. Aber sie fing an zu lachen.

»Das habe ich tatsächlich noch nie gemacht. Aber die Idee ist super.«

Ich lächelte ihr zu und fing dann an, mit meinen Zehen im kalten Wasser auf und ab zu wippen. So langsam wurde es nämlich ein bisschen unangenehm. Wir hatten zwar für April sehr schönes Wetter, aber der Frühling war in diesem Bach noch nicht angekommen.

»Ich wollte eigentlich sagen, dass ich dann hier sitze und Gedichte schreibe.«

»Okay!« Sie sah mich an und ich entschied, das Wasser an dieser Stelle zu verlassen.

»Es ist offiziell, Millie-Anne. Du bist eine Waldfee!«

Der rote Schimmer auf ihren Wangen tauchte wieder auf und sie sagte leise: »Dann habe ich ja alle meine Ziele erreicht.«

»Hast du auch spitze Ohren?«
Sie kicherte und schüttelte den Kopf. »Nein, aber kalte Zehen!«
Dieses Mal war ich es, die ihr die Hand reichte, damit sie sicher aus dem Wasser kam. Dann streiften wir über die moosdurchzogene Wiese zurück zu dem umgefallenen Baumstamm, an dem wir unsere Schuhe stehen gelassen hatten.

Wir zogen sie beide nicht an, als wir uns auf den Rückweg durch den Garten und unter den Kirschbäumen entlang machten. Das Gras kitzelte an meinen nackten Füßen und bestimmt nahm ich gerade

ganz viel Dreck an meinen Sohlen mit. Aber das war mir egal. Füße konnte man waschen. Außerdem hatte ich das Gefühl, dass wir die ausgelassene Stimmung auf diese Weise noch mit uns zum Hauptteil des Grundstücks brachten, und allein dieser Gedanke war es wert, für die nächsten zwei Wochen ununterbrochen matschige Füße zu haben.

»Morgen fahre ich auf den Markt, um meine Lebensmittel zu verkaufen und einige Erledigungen im Dorf zu machen. Wenn du es so früh aus dem Bett schaffst, dann kannst du mich gerne begleiten, falls du möchtest.«

Ich musste keine Sekunde überlegen, um diese Entscheidung zu treffen. »Dann würde ich sehr gerne mitkommen. Wann geht es los?«

»Um sechs.«

The Girl next Window

Ich:

Fluchtbirne an Tilly, bitte kommen.

Tilly antwortete nicht sofort. Das kam mir aller- dings sehr gelegen, denn so hatte ich einen kleinen Zeitraum, in dem ich meine eigene Wohnung in Ord- nung brachte, um die Zeit zu überbrücken. Und es dauerte auch nur wenige Minuten, bis mein Handy mit neuen Nachrichten vor sich hin vibrierte.

Tilly:

Tilly vorhanden.

Tilly:

Bitte um Dramaskala 1-10

Tilly:

Meine Mum hat mir nicht gesagt, dass sie dich gekündigt hat. Also ist es was anderes?

Tilly:

Sag nicht, du hast Gossip für mich.

Tilly:

Tilly an Fluchtbirne: bitte zurückkommen!

Ich überflog ihre Nachrichten, die alle im Abstand von wenigen Sekunden auf meinem Handybildschirm aufgetaucht waren.

Ich:

Drama-Skala ist eine 4. Ich wurde nicht gekündigt. Und er ist nicht brodelnd heiß, aber ich habe vielleicht einen Anflug von

Gossip. Hast du heute irgendwann Zeit, zu telefonieren?

Tilly:

Ich kann entweder jetzt. Bin gerade auf dem Weg zur Uni. Oder heute Abend gegen 10.

Ich antwortete ihr gar nicht erst, dass ich anrufen würde, sondern klingelte einfach ohne Vorwarnung bei ihr durch. Tilly hob ab, noch bevor es ein zweites Mal bei mir in der Leitung tuten konnte.

»Falls es laut ist, ich bin im Bus«, begrüßte sie mich.

»Alles klar. Dann rede ich extra leise.«

»Na vielen Dank auch. Also: Dir glüht der Aluhut?«

»Ich habe eine Nachbarin, die ich nicht verstehe«, begann ich ohne Umschweife.

»Sprachlich oder menschlich?«

»Menschlich. Ich meine, sprachlich ist es auch nicht immer so leicht. Ich muss mich echt konzent- rieren, aber das ist nicht das Problem. Sie hat die Wohnung genau gegenüber von mir, und sie sitzt ziemlich oft an ihrem Fenster.«

»Das finde ich erst mal nicht so außergewöhn- lich«, unterbrach Tilly mich.

»Ich auch nicht. Aber erst war sie irgendwie krank, glaube ich. Und dann ging es ihr besser, und sie war total fröhlich, und jetzt sitzt sie wieder da und starrt nur raus.«

Ich lief zu meinem Fenster, um zu sehen, ob Jelena wieder auf ihrer Fensterbank saß, und tatsächlich hockte sie wieder hinter der Scheibe, den Topf mit der Suppe auf den Knien abgestellt und einem Löffel in der Hand.

»Ich kann ihre Blicke nicht deuten, und mich interessiert einfach, was mit ihr los ist, dass sie so wechselhaft ist.«

Tilly gab ein nachdenkliches Brummen von sich. Dann fragte sie: »Wie alt ist sie?«

»Ähm... weiß ich nicht. So ungefähr in unserem Alter.«

»Ist die hübsch?«
Ich stutzte. »Ja. Aber was tut das zur Sache?« »Ich weiß nicht. Wir können natürlich jetzt darü-

ber spekulieren, warum sie so unterschiedlicher Stim- mung ist. Aber ich glaube, es ist eher so, dass ihr Ver- halten dir so auffällt, weil sie dir auffällt.«

»Warum denkst du das?«, fragte ich, setzte mich auf mein Bett und versuchte nicht zu Jelena zu sehen. »Ich kenne dich ja schon ein bisschen länger. Und

mir ist einfach aufgefallen, dass wenn du Frauen attraktiv findest, du ein ganz starkes Bedürfnis entwi- ckelst, sie zu verstehen. Dann willst du immer genau wissen, warum sie was tut, was sie denkt und so weiter. Und weil du echt ganz gut in zwischenmenschlichen Dingen bist, fällt dir das in der Regel nicht schwer. Und jetzt hast du da diese Nachbarin, die du nicht kennst, und die sich nicht so zeigt, wie du es von einer Frau in eurem Alter erwartest, und damit kannst du nicht umgehen.«

»Hm.«